AG Naturkunde - HGV Holzminden

Verzeichniß der in der Umgegend
von Holzminden ohne künstliche Pflege und Veranstaltung wachsenden Phanerogamen und Filicoideen.


Vorläufiges.

Meine Hauptabsicht bei der Veröffentlichung des nachstehenden Verzeichnisses ist, den Liebhabern der Scientia amabilis, die sich unter den Schülern des hiesigen Gymnasiums oder unter andern Bewohnern der hiesigen Gegend finden könnten, ihre Bestrebungen durch Nachweisung der zu suchenden und der nicht zu erwartenden Pflanzen zu erleichtern. Die Zeitstimmung ist solchen Nebenstudien nicht günstig. Ich beklage das umsomehr, als ich das Studium der Naturwissenschaften, wenn nicht mit unfrommen Sinne daran gegangen wird, für vorzüglich geeignet halte, nicht bloß den Verstand zu schärfen, sondern auch das Gemüth für die höchsten Interessen zu erwärmen. Die Pflanzenwelt ist aber für Leute, die nicht ganz dem Fache angehören, die faßbarste Seite der Natur. Und wie hoch soll man die harmlose Freude am Naturleben anschlagen, welche durch Spaziergänge mit der grünen Büchse vermittelt wird? Ich meines Theils werde das Behagen und in leidvollen Tagen die Erquickung, welche mir die in Begleitung meines Collegen, des Herrn Oberlehrers  Dr. S c h a u m a n n , ausgeführten botanischen Excursionen verschafft haben, stets in dankbarer Erinnerung behalten. Übrigens brauchen die Hauptstudien unter dem Botanisiren nicht zu leiden; auch das Turnen nicht. Besonders an Ferientagen ist es am Platze. Aber vor einem Irrthum muss ich den jungen Botanisten warnen: er darf nicht glauben, daß etwas damit gethan sei, wenn er den lateinischen Namen einer Pflanze erfragt und auf eine Etikette geschrieben hat; er muss selbst sehen, selbst untersuchen, selbst bestimmen.

Ob nicht mein zweiter Zweck - ich möchte nämlich zugleich der Wissenschaft einen kleinen Handlangerdienst leisten - noch geringere Aussicht auf Erfolg bietet? Es mag sein. Mag dann zu dem vielen bedruckten Papiere auch das von mir verbrauchte kommen - auf die knappste Form will ich mich beschränken. Es geschieht ja aber auch nicht alles was in Aussicht stand. Aus einer auf fleißiger Beobachtung beruhenden Local-Flora lassen sich mancherlei interessante, auch wohl nutzbare Schlüsse ziehen. Aber freilich kann sie alleinstehend ihren vollen Werth nicht geltend machen, sondern nur in Verbindung mit recht vielen, recht nahe bei einander stehenden Schwestern. Nur so kann sie z. B. zur genaueren Verzeichnung der so wichtigen Vegetationslinien, mit deren Aufstellung so schöne Anfänge gemacht sind, beitragen; nur so zur Herstellung von vollkommeren Landes-Floren (die an politische Grenzen sich nicht zu kehren brauchen) dienlich sein. Wie wäre es, wenn alle Gymnasien, die zu dem preiswürdigen Programmen-Austausch-Verbande gehören, den Programmen solche Mittheilungen über ihre Local-Flora beigäben und sie auf demselben Wege mit Berichtigungen und Nachträgen versähen?

Die Frage nach der zweckmäßigen Begrenzung des Gebiets von Landes-Floren haben die Priester der Wissenschaft, zu welchen ich nicht zähle, zu beantworten; es wird mir aber vergönnt sein die Meinung auszusprechen, daß mir dasjenige Gebiet, über welches G. F. W. Meyer in der Flora Hannoverana excursoria, Göttingen 1849, seine Mittheilungen erstreckt, westlich vom Rheingebiet, östlich vom Odergebiet, nördlich von der See und der Eider, südlich von dem Parallel 51°11´begrenzt (Vorrede S. XVI), sehr zweckmäßig zusammengefaßt erscheint, nur daß ich eine Abtrennung und besondere Behandlung des Tieflandes gewünscht hätte. Namen haben oft Einfluß; die von Meyer harmlos vollzogene
Anneration scheint der Verbreitung und Anwendung seines vortrefflichen Buches Eintrag gethan zu haben. Daß ich in meinem Verzeichnisse die A n o r d n u n g  u n d  N o m e n c l a t u r  M e y e r s  angewandt und die Vergleichung seines Buchs vorausgesetzt habe, wird natürlich gefunden werden. Ich gebrauchte aber in den Jahren meines Sammelns Koch`s Synopsis Florae Germanicae et Helveticae, und davon ist es gekommen, da ich in den letzten Jahren keine Zeit für eine Liebhaberei gehabt habe, daß die Meyer`schen Varietäten und Hibriditäten nicht hinlänglich von mir studiert sind. Das in dieser Beziehung Fehlende nachzuholen überlasse ich außer den ohne Zweifel hie und da nöthigen Berichtigungen und Ergänzungen meines Verzeichnisses einem jüngeren Nachfolger.

Ich glaube eine kurze, einigermaßen auch Auswärtige, die meine Aufstellung ansehen könnten, berücksichtigende Beschreibung des von mir durchsuchten Flora-Gebiets geben zu sollen. Es liegt in einer Scheibe von durchschnittlich drei Stunden Radius um
H o l z m i n d e n  her und ist von der Weser in starken Krümmungen bei im ganzen nord-östlicher Richtung durchflossen. 

Bei F ü r s t e n b e r g tritt sie in das Gebiet; sie verläßt dasselbe, nachdem sie außer einigen Dörfern H ö x t e r , C o r v e y , T o n e n b u r g, H o l z m i n d e n,  F o r s t  und  P o l l e  berührt hat, bei dem Dorfe R ü h l e . Von Fürstenberg bis Forst fließt sie durch eine ungleich begrenzte, vier Stunden lange und durchschnittlich etwa eine Stunde breite Thalebene. Diese hat sich über der Vertiefung gebildet, die durch das Zusammentreffen des sanft geneigten bunten Sandsteins, aus welchem die den südlichen Theil meines Gebiets bildenden Abhänge des  S o l l i n g s  bestehen, mit dem gegenüber liegenden Muschelkalk-Gebirge bedingt war.*) Im Grunde mit Diluvial-Geröll ausgefüllt zeigt sie an der Oberfläche eine aufgeschwemmte Mischung von Sand, Lehm, Thon und etwas Kalk; an einigen höheren Stellen reinen Lehm. Von Forst ab hat sich die Weser ihr Bett mittels Durchbruchs des Kalkgebirges erkämpft. Die Höhe ihres Spiegels über der Nordsee beträgt bei Höxter 282 Fuß, bei Holzminden 270, bei Forst 260, am Breitenstein wenig oberhalb Rühle`s 253. Abgesehen von der besprochenen Thalebene und einer ganz kleinen zwischen Polle und Rühle besteht das Gebiet aus Bergen, Schluchten und Hochflächen, und ist größtentheils bewaldet. Die Linie, welche das von meinen Wanderungen durchschnittene Stück des botanisch armen Solling abtrennt, geht von Fürstenberg durch das R o t t m i n d e t h a l nach dem Gestüt N e u h a u s ; von da dem nördlichen Fuße des Moosberges, der höchsten Erhebung des Sollings (1577`ü. M.) folgend schließt sie ein flaches Thal ein, an dessen östlichem Ende ein Hoch-To r f m o o r eingebettet ist, und wendet sich dann nach H e i n a d e , wo sie den Fuß des aus Muschelkalk bestehenden H o l z b e r g e s erreicht. Das bezeichnete Stück des Sollings erhebt sich allmählig bis zu 1000`und mehr ü. d. Weser. Von den wenigen darin befindlichen Thalgründen sind zwei in der Nähe von Holzminden zusammenstoßende nennenswerth, von denen der westlichere, bis nach Neuhaus tief einschneidende an seinem unteren Ende das R u m o h r t h a l (sic) heißt, der andere der P i p p i n g ; das Uebrige bildet eine sehr einförmige Masse. Den entgegengesetzten Charakter trägt das gegenüber liegende Kalkgebirge, dessen Züge, wo sie sich der Weser zukehren, meistens schroff abfallen. Diese sonnigen Abhänge sind es, welche der grünen Büchse den willkommensten Inhalt liefern. Auf dem linken Weserufer zeichnen wir den  Z i e g e n b e r g hinter Höxter aus (1135`ü. d. Meere), den R e u s c h e b e r g (946`), von dessen Vorsprüngen der eine den besonderen Namen des Weinbergs führt, und nördlich von Holzminden den K i e k e n s t e i n (904`); auf dem rechten Weserufer aber zunächst den Höhenzug, welcher sich von Polle ab etwa zwei Stunden weit nach Süd-Ost zieht, und an seinem westlichen Ende, das in den H e i n s e r K l i p p e n zur Weser abfällt, der  B u c h e n b e r g  heißt, dann über Forst der K n a p p , weiterhin der S c h i f f b e r g .
Dem östlichen Theile dieses Höhenzuges schließt sich im Norden eine Hochfläche an, der  R ü h l e r B e r g , und wo sie etwas oberhalb Rühle`s , schroff zur Weser abfällt, der  B r e i t e s t e i n (850`), genannt; im Süden liegt ihm, durch ein tiefes Thal geschieden, ein höherer Bergstrang vor, der B u r g b e r g (904`), genannt; auf dessen östlicher Ecke (1020`) einst die gewaltige Burg E b e r s t e i n prangte. Eine besondere Gunst wird der Botaniker dem mit seinem nordwestlichen Absturze den südöstlichen Rand unseres Flora-Gebiets einnehmenden H o l z b e r g e ) (1210*) nebst der unter demselben nach
S t a d t o l d e n d o r f  sich erstreckenden Wiesenfläche zuwenden. Ganz nahe bei der eben genannten Stadt trifft die nordöstliche Grenzlinie unseres Gebiets auf einen ausgezeichneten, aus Anhydrit und Gips mit einer Ueberlagerung von Mergel und Lehm bestehenden Bergkegel (1146`ü. M.), der mit den Ruinen der H o m b u r g gekrönt ist. Sie springtdann auf die Höhe eines kleineren, nicht so einförmig wie der Solling gestalteten Buntsandstein-Gebirges, des V o g l e r s (1373`), bei dem Dorfe Holenberg über, und erreicht mit einer Ecke desselben bei Rühle die Weser. Auf der nordwestlichen Grenzlinie unseres Gebiets treffen wir den König unter unseren Bergen, den K ö t e r b e r g (1507`ü. M.)*), dessen rundliche und kahle, aus Keuper bestehende Kuppe recht oft in vollem Weiß glänzt, während im Thale alles grünt. Von da geht es dann wieder nach dem Ziegenberge, welchen von dem in der Höhe mit ihm zusammenhängenden Brunsberge das S c h l e i f e n t h a l scheidet.

Ein Berg, der außerhalb des umschriebenen Gebiets liegt, ist dennoch bei dem nachstehenden Verzeichnisse berücksichtigt, weil der Botanist gern einmal auch eine weitere Excursion unternimmt; es ist der dem (unter den Geognosten so bekannten) Hils westlich sich anfügende und bis in die Nähe von Hameln reichende Dolomit-Bergzug des I t h , ***) dessen Höhe und südlichen Abhang zwischen Scharfoldendorf und Harderode wir (mein College Schaumann und ich) mit vielem Genusse besucht haben.

Was die hiesigen L u f t - und W i t t e r u n g s v e r h ä l t n i s s e betrifft, so möchte hier die Angabe genügen, daß nach sehr genauen durch den Herrn Professor P o l s t o r f f in der Mitte Holzmindens angestellten Beobachtungen daselbst in der Periode von Juni 1852 bis Juni 1855 die höchste Temperatur +24,75° und die niedrigste - 15,25° R. betragen hat, die mittlere Temperatur des Sommers aber +14,04°, des Herbstes +7,57°, des Winters +0,15°, des Frühlings +5,76° und des Jahres +6,88°R. Die Unterschiede zwischen Thal und Höhen und überhaupt den verschiedenen Localitäten sind sehr beträchtlich.

In der B o d e n b e k l e i d u n g der hiesigen Gegend haben, und noch in jüngeren Zeiten, wesentliche Veränderungen stattgefunden. Der Wald ist immer mehr eingeschränkt; namentlich sind demselben am Rande des Sollings in den letzten Jahren infolge von Abfindungen sehr bedeutende Flächen entzogen worden. Freilich findet man auch wieder auf der Höhe desselben, wo ich in meiner Kindheit auf weiten Strecken zwischen Adlerfarn, Heide und Ried nur hier einen wilden Apfelbaum oder einen Weißdorn, dort eine Birke, Erle oder Zitterpappel ganz vereinzelt emporragen sah, die stattlichsten Rothtannen-Bestände. Aber es werden auch andere Baumarten als früher gehegt und angepflanzt. In alten Zeiten scheint in der hiesigen Gegend, die Eiche durchaus vorgeherrscht zu haben; jetzt thut es die Buche. Ulmen, Linden, Elzbeerbäume, Wald- und Spitzahorn, die jetzt an sonnigen Kalkabhängen ganz einzeln zwischen Buchen stehen oder zu stehen versuchen, scheinen dort früher nebst Haselstauden und anderem Gebüsch häufiger gewesen zu sein.

*)Ueber diesen Lieblingsberg Joach. Heinr. Campe`s f. dessen Reise von Hamburg bis in die Schweiz. Kap. 4
**) Nach einer neueren Angabe von Dr. W. Lachmann in dessen Physiographie des Hgth. Braunschweig und des Harzes, Brschw. 1851. 1852, ist der Köterberg 1592, der Moosberg dagegen nur 1520`ü. M. hoch. Der Augenschein spricht für Lachmann. ***) Die locale alte Schreibung ist I h d t .
Der Hauptunterschied in der Bekleidung des Bodens ist aber dadurch herbeigeführt, daß, während bis ungefähr 1760 nur der Wacholder und die wohl damals schon nicht häufige Eibe das Nadelholz hier repräsentirten, dieses jetzt überhand nimmt; die Rothtanne ist im Besitz sehr ausgedehnter Räume, die Föhre bildet Bestände oder mischt sich wie die Lärche in anderes Gehölz. Wie diese Coniferen thut auch die am Ende des vorigen Jahrhunderts in den Solling verpflanzte Weißerle, als ob sie hier zu Hause wäre. Das würde auch die in Alleen etc. erscheinende Roßkastanie thun, wenn sie in Masse angepflanzt würde; auch wohl die Robinie. Auch der (in der westfälischen Zeit sehr dominirenden, jetzt in sehr bescheidener Anzahl erscheinenden) Pyramiden-Pappel und der Schwarzpappel scheint Boden und Klima sehr zuzusagen. Fremdlinge, die nur einzeln an geschützten Stellen eine mehr oder weniger precäre Existenz führen, wie den Wallnußbaum, den Maulbeerbaum, die Kastanie, die Platane etc. habe ich von meinem Verzeichnisse ausgeschlossen, wiewohl ich manche Pflanze bloß deswegen aufgenommen habe, weil ich sie als nichteinheimisch bezeichnen wollte.

Den  F e l d f r ü c h t e n  habe ich sowenig einen Platz gegönnt wie den Gartenfrüchten und Ziergewächsen, obgleich Pflanzen aus allen drei Classen gelegentlich so vorkommen, daß man sie als verwildert ansehen könnte, namentlich im Sande und Kiese der Weser. Ueber den Feldbau mögen indessen ein paar Worte hier stehen. Von Verkoppelung und Rübenbau für Zuckerfabriken ist hier noch nichts zu sehen. Die Haupt-Feldfrucht ist der Rocken; nach ihm wird die Kartoffel zu nennen sein. Weizen gedeiht stellenweise sehr gut; in den höheren Gegenden der Hafer ausgezeichnet. Von den Gerstenarten wird nur die zweizeilige gesät. Das Verhältniß, worin Bohnen, Erbsen, Wicken und Linsen gebaut werden, scheint ein sehr gewöhnliches zu sein. Lein und Oelrübe (Rapa und Napus) werden stark gebaut. Ein Buchweizenfeld ist eine eben so große Seltenheit wie ein Tabacksfeld. Der auch im Grase sehr häufige Wiesenklee wird viel gebaut; Purpurklee einzeln. Letzterer erhält sich, wie es auch die an steilen Kalkabhängen gern verwandte Esparsette und Luzerne thun, oft lange an der Stelle, wo sie einmal gebaut worden.

Ein Fremder, der hier botanisirte, könnte sich sehr wundern, wenn er an dem nahen Sülbeckschen Berge bei dem vorderen Gipsbruche mehrere hier gar nicht zu erwartende Pflanzen fände. Ich sah da Echinops sphaerocephalus (cop.), Scutellaria hastifolia (cop.), Allium carinatum (cop.), Potentilla rupestris und recta (letztere aber auch am Hafendamm), Veronica longifolia, Thalictrum minus (wie es scheint c. majus), Viola lactea d. clatior und einen Sonchus, den ich nicht genauer erkenne. Da Samen und Wurzeln dieser Pflanzen mit der Erde gekommen sein werden, welche in den dreißiger Jahren aus einem eingegangenen kleinen botanischen Garten an die bezeichnete Stelle gefahren worden ist, so habe ich sie nicht in mein Verzeichniß aufgenommen.

Was von der Umgebung Höxters zu meinem Flora-Gebiete gehört, habe ich nicht mit der sonst erforderlichen Genauigkeit durchsucht, weil ich wußte, daß dieses durch meinen Freund, den Herrn Superintendenten B e c k h a u s in Höxter geschah, und daß mir derselbe von allen seinen Funden Nachricht geben würde. Da ich dessen Bestimmungen mehr traue als meinen eigenen, und zur Nachbestimmung die erforderliche Muße sich nicht leicht fand, so
ist es zu letzterer oft nicht gekommen. Wo hinter einer Standorts-Angabe ein B. in meinem Verzeichnisse steht, liegt dieser Fall vor. Aber auf die so gekennzeichneten Fälle haben sich die Unterstützungen bei meinen botanischen Studien, welche ich dem genannten Freunde verdanke, keineswegs beschränkt.
Wenn es ein Verdienst ist diese oder jene Pflanze in einer bestimmten Gegend gefunden zu haben, so theilt das hinsichtlich der hier aufgeführten Pflanzen mit mir außer dem Herrn Superintendenten B e c k h a u s mein College, Herr Dr. S c h a u m a n n .

Schließlich bemerke ich noch, daß eine reichlichere und speciellere Standörter-Angaben enthaltendes Exemplar dieser Schrift in der hiesigen Gymnasial-Bibliothek niedergelegt werden wird.